Die Innung nach 1933
Die Spuren des Nationalsozialismus waren nicht zu übersehen. Am deutlichsten zeigte sich das im Rahmen der "Gleichschaltung", die schon kurze Zeit nach der Machtübernahme durch die NSDAP im März 1933 eine völlige Umstrukturierung der bestehenden Handwerksorganisationen vorsah und personelle Konsequenzen durch die Ablösung des Obermeisters Alfred Diestel mit sich brachte. Die Einzugsbereiche der einzelnen Innungen wurden z.T. neu festgelegt und bei den aus mehreren verschiedenen Ämtern bestehenden Innungen die Handwerke neu zugeordnet. Wie aus einem Schreiben der Gewerbekammer Hamburg vom 31.7.1934 an den Reichsverband im Installateur und Klempnergewerbe e.V. / Berlin hervorgeht, kam als neuer Obermeister Hugo Dierks. In einem weiteren Schreiben an den alten Obermeister Diestel wurde dann gleichzeitig die Auflösung der alten Zwangsinnung für das Klempner, Installateure und verwandten Gewerbe zum 1.8.1934 bekanntgegeben. Mit dem gleichen Tag wurde sie umbenannt in “Handwerkerinnung für das Klempner (Spengler, Flaschner), Bierleitungsreiniger, Blitzableiterbauer, Gas und Wasserinstallateure, Kupferschmiede-Handwerk". Von Dachdeckern ist nicht mehr die Rede.
Wo aber waren die Dachdecker geblieben? Darauf gibt ein Schreiben der Gewerbekammer Hamburg an den Landesverband des Dachdecker-Handwerks in Hannover vom 23.8.1934 Antwort. Darin bestätigt die Gewerbekammer, dass sie für den Bezirk Stadt Hamburg Geestlande eine eigene Innung für das DachdeckerHandwerk errichten wird. Als Obermeister "wird Herr Friedrich Brachmann in Aussicht genommen". Im selben Schreiben wird jedoch mitgeteilt, dass diese Regelung nicht einheitlich durchgeführt wurde, im Amt Ritzebüttel sowie im Bezirk BergedorfMarschlandeGeesthacht verblieben die Dachdecker weiterhin bei den Klempnerinnungen und bildeten innerhalb der Innung eine selbständige Berufsgruppe.
Hier endete also der gemeinsame Weg der Klempner und Dachdecker. Wie sauber die Trennung in manchen Bereichen vollzogen wurde, schildert eine kleine Eingabe der Klempnerinnung an die Gewerbekammer vom März 1935, eine bevorstehende Bannerweihe betreffend:
"An diesem Banner befinden sich einige gestickte Embleme des Dachdecker und Elektrikergewerbes, die wir entfernen lassen wollen."
Durch die Nationalsozialisten erfuhr das Handwerk eine besondere Aufwertung, galt es doch durch sein Zunftwesen und seinen Hang zur Tradition als "urdeutsch", was immer das auch heißen mag. Diese Aufwertung spiegelte sich wider in öffentlichen Veranstaltungen und Werkschauen, die allerorts abgehalten wurden. So fand z.B. schon im Oktober 1933 eine ReichshandwerkerWoche unter Beteiligung der Dachdecker in Hamburg statt, die großen Zuspruch fand. Auch eine Werkschau des Reichsinnungsverbandes des Dachdeckerhandwerks in Berlin 1936 zeigte das vermehrte Interesse am Handwerk.
Das Groß-Hamburg-Gesetz aus dem Jahre 1937 ließ die Hansestadt um die Städte Altona, HarburgWilhelmsburg, Wandsbek sowie um weitere 27 ländliche Gemeinden anwachsen. Die Bevölkerungszahl Hamburgs stieg damit auf 1,8 Millionen an. Für die Innungen bedeutete das gleichzeitig einen Zuwachs an Mitgliedern, die vorher bestehenden Klempnerinnungen in den genannten Städten wurden aufgelöst und der Hamburger Innung einverleibt. Eigenständige Dachdeckerinnungen hatte es bis zu dem Zeitpunkt nur kurzfristig in Altona und Harburg gegeben, schon länger bestehende Ämter gab es in keinem der anderen Orte. Als Nachfolger von Brachmann kam von der Innung Altona Waldemar Gläsener als neuer Obermeister für GroßHamburg.
Auf dem Gelände Barmbeker Markt, dem heutigen gemeinsamen Sitz der Innungen der Klempner, Sanitärtechniker und Dachdecker, entstand 1938 der Bau einer Lehrwerkstatt auf Betreiben des langjährigen Innungsobermeisters Alfred Diestel. Der "Alfred-Diestel-Stiftung" war allerdings nur eine kurze Lebensdauer beschieden, denn sie wurde bereits 1944 durch Bombenangriffe restlos zerstört.
Die Kriegsjahre
Über die akute Kriegszeit liegt verständlicherweise kein Aktenmaterial vor. Die Leute hatten andere Probleme, außerdem ist viel an Papieren verlorengegangen bzw. durch die Bombenangriffe zerstört worden. Die meisten arbeitsfähigen Männer waren an der Front und zuhause konnten nur die dringendsten Sachen notdürftig geflickt werden. Improvisation war gefragt, weil Arbeitsmaterialien und Fachkräfte fehlten.
1945 - heute
Das Ende des 2. Weltkrieges bedeutete auf allen Gebieten des täglichen Lebens eine deutliche Zäsur: Das stark zerstörte Hamburg musste wieder aufgebaut werden. Den zunächst notdürftig geflickten Provisorien folgte ein enormer Neubauboom in der jungen Bundesrepublik. Auch wenn in den Anfangsjahren vieles in Eigenarbeit geleistet wurde, so gab es doch immer für die professionellen Bauhandwerker und somit für die Dachdecker jede Menge zu tun.
1948 nach Beendigung der britischen Besatzungszeit und mit Gründung der Bundesrepublik wurde Wilhelm Gläsener zum neuen Obermeister gewählt. Er behielt dieses Amt bis 1960 inne. Sein Bruder Waldemar Gläsener hatte während des Dritten Reiches der Innung vorgestanden. Danach trat Erich Sinow ans Ruder. In seine Zeit als Obermeister fiel der Neubau des AlfredDiestelHauses 1965, das auf dem alten Gelände der AlfredDiestelStiftung am Barmbeker Markt 19, wo die Dachdecker gleich nach der Fertigstellung Einzug hielten. Zuvor hatten sie ihren Sitz in der Handwerkskammer gehabt. Das Gebäude ist im Besitz der Klempner und Sanitärtechniker, doch man nahm die Dachdecker hier gerne mit auf. Die strenge Trennung dieser verwandten Berufsgruppen, wie sie sich 1933 abzeichnete, besteht also heute nicht mehr, man lebt und arbeitet unter einem Dach zusammen. Die Frage der Abgrenzung zwischen den einzelnen Berufen bleibt aber nach wie vor im Einzelfall schwer zu beurteilen.
Nachfolger von Sinow wurde 1976 Lothar Mikoleit, der schon seit 1969 dem Vorstand angehört. Gleichzeitig war er lange Zeit Bezirksmeister für Harburg.
Die 80er Jahre zeichneten sich durch eine neue Richtungsgebung der Innung aus. Im März 1985 fand ein Ganztagesseminar des Vorstandes der Dachdeckerinnung statt, wo ein Konzept für ein modernisiertes Dienstleistungsangebot entwickelt wurde. Die angebotenen Dienstleistungen sollten systematisch erweitert werden.
Zusätzlich zu den traditionellen Aufgaben der Innung wie Lehrlings- und Gesellenprüfungswesen, gelegentlichem Rundschreibedienst, Tarifauskünften, Betreuung von Arbeitsgerichtsverfahren, Wahrnehmung der Interessenvertretung gegenüber anderen Organisationen und auf Bundesebene, Durchführung von Ausnahmebewilligungsverfahren und sonstigem sollten neue Aufgabenbereiche hinzutreten wie Schaffung eines regelmäßigen Informationsdienstes, Errichtung und Organisation von Fortbildungsmöglichkeiten für Mitarbeiter der Mitgliedsbetriebe, Vorbereitung auf die Ablegung der Meisterprüfung, Gemeinschaftswerbung etc...
Vieles davon wurde zwischenzeitlich in die Realität umgesetzt. Bereits seit 1983 bot man für die Innungsmitglieder eine Rechts- und Unternehmensberatung neben der für Handwerksorganisationen selbstverständlichen Unterstützung- und Prozeßvertretung in arbeits- und sozialrechtlichen Fragen und Konfliktsituationen an. Insbesondere der Service, Betriebsübergaben von der Unternehmensbewertung über die Käufersuche, bis hin zur Vertragsgestaltung zu beraten, ist immer weiter ausgebaut und spezifiziert worden. Ab 1990 werden an die Mitglieder regelmäßig Rundschreiben mit den Themen Bau-, Steuer- und Arbeitsrecht sowie Betriebswirtschaft versendet.
Der Bereich berufliche Bildung ist im Hamburger Dachdeckerhandwerk mit besonderer Energie ausgebaut worden. Ab 1988 wurden eigene Meisterschullehrgänge abgehalten und 1993 übernahm man den gesamten Bereich der überbetrieblichen Schulung, um die Zahl der Ausbildungsverhältnisse erheblich zu steigern – ein Ziel, welches in der Folge mehr als erreicht wurde. Hierzu mietete die Dachdecker-Innung einen Hallenteil im Ausbildungszentrum Sorbenstraße der Innung SHK an und stellte einen Ausbildungsmeister als hauptamtlichen Mitarbeiter ein. Ein wichtiger Meilenstein war die Gründung des Berufsbildungswerkes der Dachdecker-Innung Hamburg als gemeinnützige GmbH 01.07.1995. In dieser Einrichtung wurde das "Ausbildungs Know How" der Dachdecker-Innung konzentriert und das Angebot stetig erweitert. Mit der Novellierung der Handwerksordnung 1998 wurde ein spezielles Kursusangebot zur Qualifizierung von Handwerksbetrieben im Rahmen des § 7 HWO – Flachdach – aufgelegt und mit der Handwerkskammer Hamburg ein Prüfungsverfahren entwickelt. Gerade dieses Angebot erreichte überregionale Popularität und zog weiterbildungswillige Handwerksunternehmer aus der gesamten Bundesrepublik an. Dieses Bildungsangebot wurde später um den Bereich Ziegel- und Betonsteindeckung erweitert.
Ein Meilenstein für das Dachdeckerhandwerk in Hamburg – ein eigenes Ausbildungszentrum.
Es war das erklärte Ziel des Dachdeckerhandwerks in Hamburg für dieses Berufsbildungswerk eigene Räumlichkeiten zu schaffen, um Lernprozesse und -abläufe zu optimieren.
Am 01.01.1999 wurde gemeinsam mit der Innung SHK in der Maurienstraße 5 ein freies Grundstück erworben und anschließend im Wege des Teileigentums bebaut.
Nach rund 14 Monaten Bauzeit wurde der Neubau Maurienstraße/Barmbeker Markt fertiggestellt. Gut 1.600 qm umfassen die neu geschaffenen Ausbildungsräume der Dachdecker- und der SHK-Innung; rund 1.200 qm stehen als Bürofläche zur Verfügung, die zur Fremdvermietung durch die Soziale Stiftung der Klempner- und Installateurs-Innung angeboten werden. Es wurde ein Gebäude geschaffen, dass sich harmonisch in die Gesamtarchitektur des Komplexes Barmbeker Markt einfügt, jedoch mit der terrassenförmigen Staffelung Akzente setzt und mit der Dachbegrünung auch ökologischen Aspekten Rechnung trägt.
Der 13. Juli 2001 war für die Dachdecker-Innung der wohl stolzeste Tag in der Geschichte – das gemeinsame Ausbildungszentrum der Innung SHK und der Dachdecker-Innung wurde eröffnet. Viel Prominenz fand sich unter den rund 800 Gästen, die der Einladung zur Eröffnung des Ausbildungszentrums in den Innenhof gefolgt waren. Neben Spitzenvertretern aus Industrie, Handeln und Behörden kam, wer im Handwerk Rang und Namen hatte: die Präsidenten der Zentralverbände des Deutschen Dachdeckerhandwerks und des Zentralverbandes Sanitär Heizung Klima, Manfred Schröder und Bruno Schliefke, der Präsident der Handwerkskammer Hamburg, Peter Becker, und natürlich auch der Festredner der Eröffnungsveranstaltung, Wirtschaftssenator Dr. Thomas Mirow.
Die neuen Schulungsräume im Dachdeckerhandwerk optimierten die Schulungsbedingungen für die Aus- und Weiterbildung im Dachdeckerhandwerk in Hamburg. Eine großzügige Werkhalle in Verbindung mit einem modernen EDV-Raum bildete die Grundlage für die überbetriebliche Ausbildung und die berufsbegleitende Meisterausbildung.
Allerdings sind gut ausgebildetes Lehrpersonal und der Zeit angepasste Ausbildungswerkstätten nur ein Baustein für eine erfolgreiche Ausbildung. Die durch die teilnehmerbezogene Förderung in der Meisterausbildung geforderte Zertifizierung der Ausbildungsstätte nach AZAV und die tariflich vereinbarte Zertifizierung zur Förderung der überbetrieblichen Ausbildung durch die Lohnausgleichskasse für das Dachdeckerhandwerk machte eine umfangreiche Auseinandersetzung mit qualitätspolitischen Aspekten erforderlich. Darüber hinaus löste das Zertifizierungsverfahren eine durchgreifende Erneuerung des Maschinenparks aus. Beide Zertifizierungen – die nach AZAV seit dem 12.07.2011 und die für die LAK seit dem 30.11.2013 – zeigen, dass Aus- und Weiterbildung im Dachdeckerhandwerk in Hamburg zukunftsorientiert gestaltet wird.
Am 10.11.2014 fand eine Neuwahl für das Amt des Obermeisters statt; Ulf-Peter Schröder legte nach 17-jähriger Amtszeit sein Amt nieder. Zum Nachfolger wurde mit großer Mehrheit Marco Zahn, Geschäftsführer der Firma Bramfelder Bedachungs GmbH, gewählt.
Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit – in diesem Sinne sind Hamburgs Dachdecker ständig gefordert, sich den immer schneller werdenden Veränderungsprozessen offensiv zu stellen.